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Die Mastitis in Schach halten!

Mastitis ist nach wie vor die kosten- und behandlungsintensivste Erkrankung im Milchviehbereich. Trotz einer kaum überschaubaren Auswahl von antibiotischen und antibiotikafreien Wirkstoffen schlagen sich sowohl Rinder als auch Tierärzte und Landwirte mit lästigen Infektionserregern herum.

Die Folge: Astronomisch hohe Verluste für die Milchindustrie. So werden alleine in den USA Schäden von jährlich zwei Mrd. Dollar beziffert. Die Wissenschaft sieht sich deshalb einem stärkeren Erfolgsdruck ausgesetzt als je zuvor. Davon zeugen gleich eine Fülle von praktisch relevanten Studien der letzten zwölf Monate, die auf europäischen Tierärztekongressen vorgestellt wurden.

In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts setzte durch den grundlegenden 5-Punkte-Plan (Vormelken, Dippen, Schalmtest, Behandeln, Merzen unheilbarer Fälle) ein Umdenken im Umgang mit Eutererkrankungen ein. 50 Jahre später stellt sich die Situation aber fast noch schwieriger dar als vorher: Die Bakterien passen sich immer besser an ihr Wirtstier an, dringen immer tiefer ein und können sich so immer besser auch modernen Antibiotika entziehen.

So umgeben sich Staphylokokken beispielsweise immer häufiger mit einem Schutzfilm, der den Kontakt mit dem antibiotischen Wirkstoff unmöglich macht. Auch verstehen es die Bakterien durch genetische Veränderungen zwischen Umwelt- und ansteckender Keimeigenschaft »umzuschalten«. Sie sind so noch schwieriger auszumachen. Auch dauern Infektionen immer länger, Mastitiden neigen daher immer mehr dazu, unentdeckt zu bleiben. Die Heilungsaussichten verschlechtern sich von daher selbstredend.

Vor diesem Hintergrund sind neue Managementstrategien und verbesserte diagnostische Maßnahmen gefragter denn je. So wird europaweit eine Rate an klinischer Mastitis von 20 Prozent noch toleriert, das heißt, man macht sich noch keine Sorgen, wenn 20 von 100 Kühen in einem Bestand einmal im Jahr an einer akuten, klinisch auffälligen Mastitis erkranken. Erst darüber sieht man einen gewissen Handlungsbedarf und versucht der Sache anhand des folgenden Entscheidungsbaumes auf den Grund zu gehen.

Neu oder erneut?

Bei Mastitiden stellt sich immer wieder die wichtigste Frage: Handelt es sich um eine neue Mastitis oder um ein sogenanntes »Rezidiv«, sprich das Wiederaufflammen einer bereits als geheilt angesehenen Geschichte. Die Beantwortung dieser Frage ist für das weitere Vorgehen wichtig. Vielleicht etwas Ernüchterndes vorneweg: In vielen Beständen werden 60 Prozent und mehr der akuten Mastitiden als »Rezidive « angesehen. Dies hat für die Heilungsaussichten sicherlich eine deutlich reduzierte Erwartungshaltung zur Folge!

Genauso verhält es sich bei den Zellzahlverläufen: Therapieresistente Kühe tragen meist den Hauptteil zu erhöhten Tank-Zellzahlen bei. So gehen nach hessischen Studien 75 Prozent der Mastitisfälle bei Strep. uberis auf persistierende, sprich nicht völlig ausgeheilte und damit wiederkehrende Entzündungen zurück. Kühe mit einer längeren Zellzahlhistorie zwischen 500 000 und 800 000/ml haben allgemein nur eine Heilungsaussicht von 20 Prozent.

Generell haben einmal infizierte Kühe ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko, erneut eine Mastitis zu bekommen.

Mit Hilfe neuer Techniken ist es heute schon möglich, in einem Bestand Erreger speziell nach ihrem Infektionspotenzial hin zu klassifizieren. Entscheidungen für Therapie oder Merzen werden somit objektiver und damit wirtschaftlicher. Während sich mit der herkömmlichen Nachweismethode in bis zu 70 Prozent der Mastitis-Proben keine Erreger anzüchten lassen, ist der Bedarf nach Alternativen größer denn je.

Besagte Polymerase-Kettenreaktion (PCR für Polymerase-Chain-Reaction) wird in absehbarer Zeit die Mastitisdiagnostik fast vollständig umkrempeln. Was bislang nur im Labor möglich ist, soll bald schon jedem Tierarzt in der eigenen Praxis ermöglichen, die Erreger anhand ihrer Erbinformation zu identifizieren. Und dies bereits nach vier Stunden, während bislang bei Anzüchtungen 24 bis 48 Stunden notwendig waren.

Auch in Milchproben, in denen bislang kein Keim gewachsen ist, kann man durch diese Technik auch bei abgetöteten Bakterien deren Erbinformation nachweisen. Und noch ein dritter Vorteil verspricht dieses neue Verfahren: Man kann damit auch Resistenzen sicher erkennen. Haken bislang: Mit etwa 30 bis 40 Euro pro Milchprobe ist das Verfahren noch nicht »praxisakzeptabel « und – jeder noch so kleine Kontaminationskeim, sei es aus der Umwelt oder der Probe anhaftend – kann das Ergebnis verfälschen.

Trotzdem: Die Genauigkeit ist bislang unerreicht. Eine österreichische Studie verglich mehrere Labormethoden (Blutagar, Chemische Farbreaktionsreihe; PCR); dabei zeigte sich, dass gerade beim Nachweis von Streptokokken ein qualitativer Unterschied von mehr als 86 Prozent zwischen PCR und Blutagar klaffte, das heißt, dass in jeder zweiten Probe, in der sich der Erreger befand, dieser durch die bisherige Standardmethode nicht nachweisen ließ.

Neues im Überblick

ADF – Automatisches Dipp- und Flush-System

Die Aussicht, das Dippen in Zukunft vollkommen zu automatisieren, ist nicht nur für größere Betriebe interessant. Das holländische System ist in der Lage, kurz vor dem Abnehmen der modifizierten Melkbecher mit einer Jodlösung zu dippen und nach der Abnahme mit Wasser durchzuspülen. Dadurch entsteht eine Arbeits- und damit Zeitersparnis in der Größenordnung von 20 bis 40 Prozent der Melkzeit. Das System hat sich bislang in Pilotbetrieben sehr gut bewährt, allerdings spielt die Jod-Rückstandsproblematik gerade für das Verbraucherbewusstsein eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Weniger lang Ausmelken

Eine aktuelle holländische Studie bestätigte wieder einmal den negativen Einfluss zu langer Ausmelkzeiten. Diese können gerade bei der automatischen Melkzeugabnahme ein Problem darstellen und zu unnötig langen »Blindmelkzeiten« mit Zitzenschädigungen und erhöhter Mastitisneigung führen: So ist es unbedingt empfehlenswert, bereits bei 400 g/min Milchdurchfluss statt bislang 200 g/min die Abnahme einzustellen; das heißt, kürzer Ausmelken in Zukunft.

Neuer Eutergesundheits-Index zur Züchtung

Die Holländer werden ihren bisherigen Zuchtindex für die Eutergesundheit komplett auf Zellzahlmerkmale umstellen. Dies stellt geradezu eine kleine Revolution dar, weil durch die Eingliederung von leicht und zuverlässig ermittelbaren Zellzahldaten die Zuchtwertschätzung noch genauer wird. Bislang ging man von einer Genauigkeit von 0,74 aus. Mit dem neuen, rein zellzahlbasierten Index wird ein noch besserer Wert von 0,93 für noch ungeprüfte Jungbullen realisiert werden.

Weniger Mastitiden durch Zitzenversiegler

Gleich mehrere Studien zeigten im letzten Jahr, wie alleine oder durch Kombination mit einem herkömmlichen antibiotischen Trockensteller sowohl die Infektions- als auch die klinische Mastitisrate vermindert werden kann. Selbst bei alleinigem Einsatz bei Färsen konnten bei hohem Infektionsdruck in Neuseeland beide Raten um 80 beziehungsweise 86 Prozent gesenkt werden. In hessischen Studien sank nach Kombieinsatz die Zahl klinischer Mastitiden um 40 Prozent.

Länger behandeln

Neben der Prophylaxe zeichnet sich auch ein neuer Trend bei den Behandlungsregimen ab. Da bis zu 60 Prozent der Mastitiden »Rückfälle« darstellen, gilt es verstärkt, am optimalen »Erstangriffserfolg« zu arbeiten. Gleich mehrere Studien zeigten, dass eine Ausdehnung der Behandlung zu deutlich höheren bakteriologischen und cytologischen Heilungsraten führen kann.

Schmerzmittel und Antibiotikum: Doppelt gut bei Entzündungen!

Heilungsraten sind generell höher, wenn neben einem hochwirksamem Antibiotikum zusätzlich noch ein »Schmerzmittel« injiziert wird. In einer neuseeländischen Studie wurden 727 mastitiskranke Kühe in 15 Herden dreimal im Abstand von 24 Stunden antibiotisch versorgt, während die eine Hälfte der Tiere noch einen Entzündungshemmer verabreicht bekamen. Resultat: Die »aufwendig« behandelten Kühe hatten im Schnitt um 22 Prozent geringere Zellzahlen und in dieser Gruppe gingen 43 Prozent weniger Kühe vorzeitig zum Metzger! In polnischen Studien konnte zudem gezeigt werden, wie sich unter zusätzlichem Einsatz eines Entzündungshemmers auch die Fruchtbarkeitsaussichten verbessern ließen. Im Schnitt war die Güstzeit um 20 Tage kürzer, bis die Tiere wieder aufnahmen!

CMT mit Spülmittel

Eine bemerkenswerte Studie macht aus England aufmerksam. Prof. Bradley und Kollegen konnten zeigen, dass man mit einem guten Spülmittel effektiv teuere Schalmtestflüssigkeit ersetzen kann. Das macht den Schalmtest in der Hinsicht interessant, weil Spülmittel quasi immer und in jedem Haushalt vorrätig ist.

Was Landwirte hören möchten – und was nicht

Handschuhe und Melken

Was eigentlich eine alte Binsenweisheit ist, wurde sehr deutlich von einem holländischen Team demonstriert: Die Bedeutung des »Handschuh«-Melkens. Selbst wenn viele Landwirte »handschuhresistent« sind, sollte aber gerade beim Vorstrippen nicht darauf verzichtet werden. Gerade die ersten Strahlen des Vorgemelks enthalten bedeutend mehr kontagiöse Keime, die sich auf den Händen der Melker festsetzen und dadurch weitere Kühe anstecken können.

Durch den Handschuheinsatz können die Keime um mehr als 90 Prozent reduziert werden, zudem werden die Hände dauerhaft geschont.

Diese Argumente waren für viele holländische Landwirte Grund genug, Handschuhe überzuziehen: Die Akzeptanz stieg von 27 Prozent (vor der Erhebung) auf 43 Prozent der Betriebe an.

Wirksame staatliche Drohmaßnahmen

Verbesserungen der Eutergesundheit gehen nach Auswertungen der holländischen Eutergesundheitsdienste in den meisten Fällen auf angedrohte Strafmaßnahmen zurück. Noch mehr als in Aussicht gestellte Prämien ist die Angst vor Bestrafung ein Hauptmotivator für Landwirte, bestehende Managementpraktiken zu optimieren. Generell geht man nach neuesten Umfragen unter Landwirten davon aus, dass nur 20 Prozent nach Beratungsgesprächen motiviert wieder an die Umsetzung gehen. Das heißt, dass vier von fünf Landwirten kaum zu motivieren sind. Frustrierend für jeden engagierten Rinderpraktiker! Was kann er raten? Vielleicht einfach auf die Fütterung verweisen, denn für »greifbare Empfehlungen« sind Landwirte ja oft leichter zu gewinnen.

Fütterung beeinflusst Eutergesundheit

Relativ wenige Studien beleuchten den diätetischen Einfluss auf die Eutergesundheit; zwei der interessantesten werden im Folgenden dargestellt:

Vitamin E (α-Tocopherol)

Die tägliche Zugabe von 3000 I.E. kann sich positiv auf das Immunsystem und die Eutergesundheit auswirken. Zu dieser Erkenntnis kommt eine holländische Studie der Uni Utrecht. Während normalerweise gerade um die Abkalbung herum die Immunzellen förmlich einbrechen und dadurch Entzündungen Tür und Tor öffnen, kann durch die orale Zulage ab zwei Wochen vor der Kalbung bis zwei Wochen danach diese Schwachstelle geschlossen werden. Insbesondere für die Leber macht sich der Vitaminstoß positiv bemerkbar, die Belastung, gemessen an Stressenzymen, ist deutlich vermindert. Dies mag gerade in der Transitperiode keine unwichtige Rolle spielen. Weitere Studien zeigten zudem, dass insbesondere natürliche Vitamin-E-Formen gegenüber synthetisch hergestellten deutliche Vorteile aufweisen. Sie werden vom Organismus deutlich besser aufgenommen als die künstlichen Formen.

Selen

Selensubstitutionen wurden bislang in vielen Studien mit einer Verbesserung der Immunitätslage in Verbindung gebracht. Die Selenquelle spielt dabei jedoch eine ganz entscheidende Rolle: Während die anorganisch gebundenen Selenformen nur geringfügige Erhöhungen brachten, sind mit Selen bestückte Hefen in Futtermitteln in der Lage, die Gehalte fast linear in die Milch zu übertragen. Positive Effekte können hier zum Beispiel ein verbesserter Zellgehalt sein.

Fazit

Die landwirtschaftlichen Betriebe werden in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach weiter stark expandieren. In erfreulicherweise ähnlichem starkem Vorwärtsgang präsentiert sich die Wissenschaft in Bezug auf die Eutergesundheit. Mit Hilfe modernster, neuer Techniken wird insbesondere die Überwachung und Früherkennung von Euterproblemen zunehmend automatisierter und zuverlässiger. Somit stehen die Aussichten nicht schlecht, weiterhin gute Milch zu produzieren und dabei trotz Hochleistung sogar die Nutzungsdauer der Kühe erhöhen zu können.

Dieser Artikel erschien im Original unter: Dr. Peter Zieger. Die Mastitis in Schach halten! Milchpur 3.2010